Klar bin ich teamfähig! Über die Wirkung schwammiger Stellenzeigen

Fragt man Personaler danach, was ihnen an den „heutigen Bewerbern“ auffällt, kommt häufig eine gestiegene Anspruchshaltung zur Sprache. Bewerber würden heutzutage deutlich selbstbewusster auftreten als früher und hätten recht konkrete Vorstellungen davon, was das Unternehmen ihnen bieten sollte. Dabei dreht es sich nicht nur um das Gehalt, sondern auch zunehmend um Dinge wie flexible Arbeitszeiten, Homeoffice-Regelungen und Weiterbildungsmöglichkeiten.

Aber wo liegen die Ursachen dieser Anspruchshaltung? Eine Forschergruppe um Heather Kappes von der London School of Economics and Political Science vermutet, dass einer der Gründe in schwammig formulierten Anforderungen liegen könnte, die sich in nahezu jeder Stellenanzeige finden. Die Idee: Je unkonkreter die Anforderungen formuliert sind, umso eher kann sich der potenzielle Bewerber einreden, ein Top-Kandidat zu sein, der ein Anrecht auf die Stelle und ein entsprechendes Gehalt hat. Ob sich unkonkrete Anforderungen tatsächlich auf die Anspruchshaltung auswirken, haben die Forscher experimentell untersucht und ihre Ergebnisse vor kurzem im Journal of Applied Psychology veröffentlicht.

In einer Vorstudie wurden zunächst 170 Stellenanzeigen aus verschiedenen Branchen, wie z.B. Vertrieb, Human Resources, Marketing und Finance gesichtet und über 1.500 Anforderungen extrahiert. Die Anforderungen wurden anschließend in drei Gruppen unterteilt: Eigenschaften, zukünftiges Verhalten und vergangenes Verhalten. Eigenschaften wie z.B. „Teamfähigkeit“ sind dabei an wenigsten konkret, vergangenes Verhalten, wie z.B. Berufserfahrung und abgeschlossene Praktika, sind am konkretesten. Die folgende Tabelle zeigt beispielhafte Anforderungen für die drei Gruppen.

Stellenanzeigen Bewerberansprüche

Halten sich Bewerber bei vagen Anforderungen für geeigneter?

Um diese Frage zu beantworten führten die Forscher zwei Experimente durch. Im ersten Experiment bekamen 440 Personen eine kurze Stellenausschreibung zu lesen sowie eine Liste mit den Stellenanforderungen. Was die Teilnehmer nicht wussten: Die Liste wurde aus einer zufälligen Auswahl von Qualifikationen zusammengestellt, die in der Vorstudie ermittelt wurden. Jeder Teilnehmer bekam eine von drei Listen, die entweder nur Persönlichkeitseigenschaften, nur künftiges Verhalten oder nur vergangenes Verhalten enthielt. Die Teilnehmer sollten anschließend ankreuzen, welche der Anforderungen sie glauben, zu erfüllen. Im nächsten Schritt sollten die Teilnehmer auf einer Skala angeben, wie sehr sie glauben, die Stelle verdient zu haben und welches Jahresgehalt sie für sich angemessen fänden, sofern sie eingestellt würden.

Tatsächlich erfüllten die Teilnehmer, die eine unkonkrete Liste erhielten, nach eigener Aussage die meisten Anforderungen; wer eine konkrete Liste erhielt, die wenigsten. Dies wirkte sich auf die Anspruchshaltung und die Gehaltsvorstellungen der Teilnehmer aus: Teilnehmer, die nur unkonkrete Anforderungen zu sehen bekamen, hielten sich für geeigneter und hatten höhere Gehaltsvorstellungen als die Teilnehmer, die konkrete Anforderungen erhielten.

Da es unrealistisch ist, in einer Stellenausschreibung ausschließlich eine Art von Anforderung vorzufinden, sollte dieser Effekt anschließend in einem zweiten Experiment mit realistischeren Bedingungen repliziert werden. Es wurden dazu drei Arten von Stellenbeschreibungen erstellt, die alle Anforderungsarten abdeckten aber unterschiedlich konkret waren. So enthielten konkrete Stellenbeschreibungen vor allem vergangenheitsbezogene Anforderungen, vage Stellenbeschreibungen hauptsächlich Persönlichkeitseigenschaften. Zum Vergleich wurden außerdem durchschnittliche Stellenbeschreibungen gebildet. Die 905 Teilnehmer des zweiten Experiments sollten auch hier angeben, wie sehr sie die Stelle verdient haben und wie ein angemessenes Gehalt aussehen würde. Zusätzlich sollten sie einschätzen, ob sie sich auf die Stelle bewerben würden.

Stellenanzeigen_Bewerberansprüche_Diagramme

Es zeigt sich der gleiche Effekt wie im ersten Experiment: Die unkonkreten Stellenanzeigen führten dazu, dass sich Personen eher für geeignet hielten und höhere Gehaltsvorstellungen hatten als bei den konkreten Stellenanzeigen. Dies hatte außerdem zur Folge, dass sich die Teilnehmer eher auf die unkonkret als die konkret beschriebene Stelle bewerben würden.

Sind wir nicht alle teamfähig und motiviert?

Je weniger konkret die Anforderungen einer Stellenanzeige formuliert sind, umso eher halten sich potenzielle Bewerber für geeignet. Die Forscher erklären dieses Ergebnis damit, dass Anforderungen wie „teamorientierte Arbeitsweise“ einen großen Interpretationsspielraum lassen und sogenanntes motiviertes Denken herbeiführen. Der Bewerber wird sich z.B. selektiv an Situationen erinnern, in denen er im Team mit anderen gut zusammengearbeitet hat. Wenn außerdem die Höhe der Anforderung nicht festgelegt ist, kann der Bewerber leicht zu dem Schluss kommen, hinreichend teamorientiert zu sein und die Anforderung zu erfüllen.

The desire to have the job, and to justify deserving it, encourages motivated reasoning when the candidate considers her suitability. She can interpret vague qualifications in ways that allow her to believe she has satisfied or will satisfy them. (p. 271)

Was könnte das für die Praxis bedeuten? Auch wenn bei der Interpretation einzelner Experimentalstudien immer eine gewisse Vorsicht angezeigt ist, könnten die Ergebnisse doch praktischen Nutzen mit sich bringen.

Es wurde gezeigt, dass vage Anforderungen mit höheren Gehaltsvorstellungen einhergehen: Je mehr Anforderungen ich erfülle, umso mehr Gehalt sollte ich verdienen. Personalverantwortliche könnten diesen Effekt für sich nutzen, indem sie konkretere Anforderungen in ihre Stellenausschreibungen integrieren. Diese sollten möglichst vergangenheitsbezogen sein, da so nur wenig Interpretationsspielraum für den Bewerber bleibt. Auf der anderen Seite zeigt die Studie, dass die Bewerbungswahrscheinlichkeit in diesem Fall geringer werden könnte, weil sich die Bewerber für weniger geeignet halten.

Eine gute Taktik könnte es sein, die Konkretheit von der Bewerberlage abhängig zu machen. Ist mit vielen Bewerbungen zu rechnen, sollten die Anforderungen möglichst konkret beschrieben und auf die üblichen Floskeln verzichtet werden. Bei schlechter Bewerberlage könnten vage Anforderungen zumindest helfen, die Zahl der Bewerbungen zu erhöhen, auch wenn dadurch Anspruchshaltung und Gehaltsvorstellungen steigen.


Kappes, H. B., Balcetis, E., & De Cremer, D. (2018). Motivated reasoning during recruitment. Journal of Applied Psychology, 103, 270-280. doi: 10.1037/apl0000263

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